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Raus aus dem Immobilienwahnsinn

Wir haben dem Weser Kurier ein Interview gegeben und daraus wurde dieser schöne Artikel:

Raus aus dem Immobilienwahnsinn

Eineinhalb Jahre haben neun junge Bremerinnen und Bremer nach einem großen Haus für ein gemeinschaftliches Wohnprojekt gesucht. Nun sind sie in Walle fündig geworden.

Wie wollen wir wohnen und leben? Diese Frage führte vor etwa eineinhalb Jahren neun Bremerinnen und Bremer im Alter von 21 bis 34 Jahren zusammen. Jetzt sind sie im Begriff, gemeinsam eine Immobilie in Walle zu kaufen, die ausreichend Platz zum Wohnen und für gemeinschaftliche Aktivitäten bietet.
„Lieber 100 Freunde im Rücken als eine Bank im Nacken“ ist dabei das Motto der Gruppe, die zunächst den Verein Bude und mittlerweile eine gleichnamige GmbH gegründet hat. Denn gekauft werden soll das Haus nach dem Mietshäuser-Syndikatsmodell.

Die Geschichte beginnt im Sommer 2020. „Wir haben mit einigen Leuten zusammengesessen, uns über das Thema gemeinschaftliches Wohnen unterhalten und überlegt, was das eigentlich für uns bedeutet und was unsere Bedürfnisse und Ängste sind“, erzählt Marie Fessel.
Dabei zeigte sich schnell: Die Gesprächspartner einte nicht nur der Wunsch, gemeinschaftlich mit anderen in einem selbstverwalteten Hausprojekt zu leben. Auch ein zweiter Aspekt war allen sehr wichtig, schildert Fessel mit Blick auf stetig steigende Immobilienpreise und Mieten: „Die Idee, ein Haus von diesem Immobilienwahnsinn zu befreien.“
Schnell sei dabei das Stichwort Mietshäuser-Syndikat gefallen, ergänzt Ben Peters: „Dieses Modell ist inzwischen sehr bekannt, wenn man sich mit dem Wohnungsmarkt beschäftigt. Wir sind alle auf unterschiedliche Art politisiert, und wenn man sich mit Ideen dazu auseinandersetzt, sich vom Immobilienwahnsinn zu befreien, dann ist das eine der naheliegendsten Optionen. Wir kannten es unter anderem durch den Golden Shop im Viertel und andere Projekte.“

Wo Immobilien zu Anlage- und Spekulationsobjekten für Investoren werden, wird die Suche nach bezahlbarem Wohnraum schwieriger. Diese Erfahrung haben auch die Bude-Mitglieder gemacht, während sie eineinhalb Jahre lang Internetportale durchforsteten, Flyer verteilten, Politiker ansprachen und Immobiliengesellschaften abklapperten. „Meistens werden entweder Einfamilienhäuser angeboten oder größere Immobilien als Spekulationsobjekte, die völlig überteuert oder aber sofort weg sind“, erzählt Ben Peters: „Während wir erst einmal eine GmbH gründen und bestimmte Prozesse einleiten müssen, hat irgendwo ein Spekulant das Geld auf dem Konto und kann direkt überweisen.“
Etwas weiter draußen oder sogar auf dem Land wäre es vielleicht schneller gelungen, ein geeignetes Haus zu finden, vermutet Marie Fessel: „Aber wir wollten beides, Platz haben und nah an der Stadtmitte sein.“ Anfangs habe sich die Gruppe durchaus ein Wohnprojekt mit 20 bis 30 Leuten vorstellen können: „Aber das gab der Markt nicht her.“
Ihr selbst gesetztes Minimum von zehn Leuten haben die Neun nun zwar knapp verfehlt. Dafür wird ihr neues Zuhause aber ein Gästezimmer haben. Denn die frisch gegründete GmbH hat mittlerweile tatsächlich ein fast 100 Jahre altes Gebäude mit ausreichend Schlafzimmern, einem schönen alten Treppenhaus und dem Potenzial für große Gemeinschaftsräume gefunden. Und zwar in Walle, wo es auch schon Kontakte zu anderen Wohnprojekten an der Waller Mitte ganz in der Nähe gibt. Die Notarin ist gerade dabei, den Kaufvertrag aufzusetzen. Ab dem Frühjahr soll renoviert werden und im Sommer ist Einzug.
Bei den Preisverhandlungen über einen Makler sei nicht viel möglich gewesen, erzählt Marie Fessel, die zur Finanzierung erklärt: „Das Eigenkapital ist durch Direktkredite von verschiedenen Menschen zusammengekommen, und wir haben zusätzlich eine Bank. Es gibt mehrere Banken, die Lust haben, solche Projekte zu unterstützen.“ Die meisten Direktkredite stammten von Freunden und Verwandten, erzählt Ben Peters: „Und zum Teil auch von anderen Wohnprojekten oder von Leuten, die wir gar nicht kennen und die über unsere Flyer auf unser Projekt aufmerksam geworden sind.“
Um das Haus auch umbauen und sanieren zu können, will die Gruppe jetzt weitere Direktkredite einwerben. Solidarisch, nachhaltig und mit bis zu 1,5 Prozent verzinst – für die privaten Bude-Unterstützer seien die Darlehen ab 1000 Euro in vielerlei Hinsicht eine attraktive Geldanlage, ist Ben Peters überzeugt. „Auch wenn es eigentlich nicht unser Ziel ist, Geld zu verwalten.“ Aber auch das gehöre nun einmal zur Selbstverwaltung. Zum Glück seien in der Gruppe nicht nur Menschen, die am liebsten sofort die ersten Wände einreißen würden. Sondern auch solche, die sich gerne mit Excel-Tabellen beschäftigten, unterstreicht Marie Fessel: „Wir greifen außerdem durch die Vernetzung mit anderen Projekten auf Jahrzehnte von Wissen zu. Sie schauen auf den Finanzplan und es gibt Vorlagen für Bilanzen.“
Auch Eigentümern, die sich auf Sicht von ihren Immobilien trennen wollen, würden Fessel und Peters das Syndikatsmodell ans Herz legen: „Da weiß man, dass das Haus niemand kauft, der es später weiterverkaufen möchte.“